4: Lamy 2000 – The Space Age

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Der Lamy 2000 in seiner ganzen Pracht. Das Etui ist übrigens von Online. Online stellt auch Schreibgeräte her, die mich jedoch nicht ansprechen. Die Etuis jedoch punkten mit einer sehr guten Qualität, einem ansprechenden Äußeren und einem annehmbaren Preis.

Wenn man sich für Füller interessiert, wird man zwangsläufig früher oder später über den Lamy 2000 stolpern. Dann wird man wohl hören, was für ein herausragender Füller das ist, und auch, dass er Macken hat. Ich habe mich schon eine Weile für ihn interessiert, weil ich wissen wollte, was dran ist am Lob und am Tadel, der sich über diesen Stift ergießt, aber die Fotos, die ich davon gesehen habe, haben mich nicht genug beeindruckt, dass ich die vergleichsweise hohe Ausgabe (etwa 130 Euro werden als Neupreis aufgerufen) in Kauf genommen hätte. Dann ergab sich jedoch eine günstige Gelegenheit für mich: Ein Lamy 2000, schon ein paar Jahre alt, aber praktisch unbenutzt, wurde mir für 90 Euro zum Kauf angeboten. Ich griff zu.

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Auf diesem Foto sieht man, dass das Griffstück unten abgeschrägt ist, und man erkennt die beiden „Nasen“ des metallenen Dichtungsrings.

Bevor ich mich an meiner Neuerwerbung erfreuen konnte, musste ich sie jedoch erst einmal reinigen. Der Füller war offensichtlich halb gefüllt in der Schublade verschwunden, und mit der eingetrockneten Tinte hätte man gefühlt eine ganze Badewanne voll Wasser blau färben können. Glücklicherweise lässt sich der Lamy 2000 relativ leicht zerlegen. Der Schaft mit der Kolbenmechanik kann leicht abgeschraubt werden. Ein Metallring, dessen „Nasen“ links und rechts aus dem Füller herausschauen, dient als Dichtung, man darf ihn nicht verlieren. Durch das Abschrauben des Schaftes kann man diesen leicht und schnell reinigen. Schwieriger stellte sich die Reinigung der Spitze dar: Egal wie sorgfältig ich diese ausspülte, es kam immer noch ein bisschen blaue Tinte heraus — und ich wollte doch unbedingt die Pelikan Edelstein Mandarin testen, die ich kurz davor aus dem Schreibwarenladen mitgebracht hatte. Am Ende entschied ich mich dafür, die Spitze zu zerlegen. Ein Video bei YouTube war dabei eine große Hilfe (https://youtu.be/x7DQSJHSaHE). Das Zerlegen der Spitze ist erstaunlich leicht: Es ist nichts verschraubt oder gar verklebt, man muss aber aufpassen, dass man nichts verliert oder zerbricht. Es gibt einen kleinen Gummiring, der nicht verlorengehen darf, den Tintenleiter, die Feder und natürlich die Ummantelung. Die Feder ist lamytypisch auf den Tintenleiter aufgesteckt und kann leicht abgezogen werden. Nach vierundzwanzig Stunden im leicht warmen Wasserbad (im Glas auf einem Heizkörper) war endlich keine blaue Tinte mehr darin, und ich konnte den Lamy 2000 mit der neuen Tinte testen.

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Das silberne am Griffstück ist offenbar aus irgendeinem Metall. Unter der winzigen Feder sieht man den winzigen Tintenleiter. Beides ist nur gesteckt, nicht verschraubt oder gar geklebt.

Der Lamy 2000 ist in natura beeindruckender als auf Fotos. Zum einen ist er pures Understatement, zum anderen reinstes Space Age, und dabei von einer geradezu bestürzenden Zeitlosigkeit. Man muss sich klar machen, dass dieser Stift im Jahr 1966 herauskam und seither praktisch unverändert hergestellt wird – seit über 50 Jahren. Er wurde von Gerd A. Müller entworfen, der sich mit seinen Arbeiten für die Firma Braun damals bereits einen Namen gemacht hatte. Das Design des Füllers folgt dem Bauhausprinzip, dass die Form sich der Funktion unterordnet und so schlicht und unauffällig wie möglich bleibt.

Das erste, was sich die Leute fragen, wenn sie ihn auf dem Tisch liegen sehen, ist, aus was für einem Material er gemacht ist. Ist es Metall? Nein, denn dazu ist er nicht kalt genug. Ist es Holz? Unmöglich. Die Antwort lautet: Es ist Makrolon, ein Polycarbonat aus dem Haus Bayer, ein hoch belastbarer, thermoplastischer Kunststoff. Nach dem Zusammenbau wird jeder einzelne Lamy 2000 noch von Hand gebürstet, so dass man tatsächlich kaum den Spalt sehen kann, der zwischen dem Drehknopf der Kolbenmechanik und dem Schaft ist. Der unglaublich robuste Clip ist aus einem leicht matten, silberfarbenen Metall; er ist eigens gefedert, was ich persönlich äußerst elegant finde. An der Seite dieses Clips steht ganz klein „Lamy“, ansonsten deutet nichts auf die Herkunft dieses Stiftes hin.

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Äußerst diskret: „Lamy“ auf der Seite des beeindruckend gefederten Clips. Die Oberseite der Kappe, ebenfalls aus Makrolon, ist übrigens poliert.

Ich würde zu gerne wissen, wie die Mechanik funktioniert, die die Kapsel auf dem Stift einrasten lässt. Dies geschieht mit einem hörbaren Klick, und man kann, wenn man in die Kapsel hineinschaut, so etwas wie Federstahl erkennen und eine Kunststoffkappe am Ende, die die Feder vor Austrocknung schützen soll. Die Feder selbst ist großenteils verdeckt, recht typisch eigentlich für die Sechziger. An der Spitze scheint der Stift aus gebürstetem Metall zu sein, aber das ändert eigenartigerweise nichts an der Haptik. Die Feder ist übrigens aus 14-karätigem Weißgold und sehr schmal, was man sieht, wenn man den Füller zerlegt.

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Ich mag die Tinte (Pelikan Edelstein Mandarine), aber der satte Auftrag ist fast zuviel für das Papier in meinem kleinen teneo-Notizbuch.

Und, wie schreibt er? Na ja! Die Feder meines Lamy 2000 ist entweder B oder sogar BB, also kann ich nur dafür sprechen. Ich kann sagen: Er schreibt schön, aber er ist anspruchsvoll. Er möchte auf eine bestimmte Weise gehalten werden, und er möchte, dass man in einem bestimmten Tempo mit ihm schreibt. Wenn man ihm den Gefallen tut, belohnt er einen mit einem sehr angenehmen Schreiberlebnis, das viel zu tun hat mit der Ausgewogenheit des Stiftes und mit diesem besonderen Material, das sich sehr schön anfasst. Ich bin jedenfalls froh, dass ich ihn habe und ich gebe ihn nicht mehr her, aber, das muss ich dazu sagen, den geforderten Höchstpreis würde ich dafür nicht bezahlen, jedenfalls nicht mit dieser Feder. Hm, vielleicht besorge ich mir mal eine andere Feder und probiere ihn damit aus…

Amerikaner lieben übrigens den Lamy 2000; in der amerikanischen Füllerszene sind praktisch alle deutschen Fabrikate begehrt, und der Lamy 2000 liegt dabei im Spitzenfeld. Hier ein Link zu einem Thread aus „The Fountain Pen Network“:
http://www.fountainpennetwork.com/forum/index.php/topic/227631-lamy-2000-and-the-origins-of-lamy-design/

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